Im Auftrag des Eidgenössischen Justiz‐ und Polizeidepartements (EJPD) analysierte sotomo das Abstimmungsergebnis der Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar 2014. Diese wurde mit einem Ja‐ Stimmenanteil von 50,3 Prozent und von 14,5 Ständen angenommen. Dieses Resultat ist ein Novum. Zum ersten Mal entschied die Schweizer Stimmbevölkerung bei einer Vorlage zur Änderungen des Zuwanderungsregimes nicht im Sinn von Bundesrat und Parlament. Im weiteren Themenfeld der Migration gab es bereits Mehrheiten gegen die Bundesbe‐ hörden – so bei der Minarett‐ (2009) und der Ausschaffungsinitiative (2010) – immer wenn es um die Regulation der Zuwanderung insgesamt und somit um wirtschaftsrelevante Fragen geht, fielen die Mehrheiten gleich aus. So bei fünf Volksinitiativen zur Begrenzung der Zuwanderung, die alle scheiterten und bei zwei Behördenvorlagen zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit, welche Mehrheiten bei der Stimmbevölkerung fanden.
Komplementär zur Vox‐Analyse
Diese Studie geht den Faktoren auf den Grund, die zu diesem Novum geführt haben. Komplementär zur Vox‐Analyse fokussiert sie sich auf die räumlichen Zustimmungsmuster zur Initiative anhand der Ja‐Stimmenanteile in den Gemeinden und in den Stadtkreisen Zürichs und Genfs. Während die Vox‐Analyse auf individuellen Befragungsdaten beruht, wird in dieser Studie mit Aggregatdaten gearbeitet. Beide Ansätze haben Vor‐ und Nachteile und ergänzen sich. In einer Befragung lassen sich direkt Motive und individuelle Merkmale befragen und mit dem Stimmentscheid in Zusammenhang bringen. Entsprechende Rückschlüsse sind mit Aggregatdaten nur indirekt möglich und problematisch. Anders als bei Befragungsdaten handelt es sich bei den hier verwendeten Abstimmungsdaten um Vollerhebungen. Entsprechend können Stichprobefehler ausgeschlossen werden und es muss nicht mit Vertrauensintervallen gearbeitet werden. Gemessene Unterschiede, auch wenn sie nur klein sind, existieren tatsächlich. Dazu kommt, dass mit der Analyse der Gemeinderesultate der Einfluss des Kontexts auf das Zustimmungsniveau untersucht werden kann. Für die Einordnung der Ja‐Mehrheit zur MEI ist die Beurteilung des Kontexts von entscheidender Bedeutung. Zuwanderung und damit assoziierte Folgen sind raumbezogen. Die Frage, welche Faktoren (Bodenverbrauch, Demographie usw.) tatsächlich Einfluss auf den Stimmentscheid haben und welche nicht, lassen sich mit Befragungsdaten alleine nicht untersuchen.
Grundhaltung ist entscheidend
Die politische Grundhaltung gegenüber Fremden war von überragender Bedeutung für die Zustimmung in den Gemeinden zur Masseneinwanderungsinitiative und sie spielte eine zentrale Rolle für die asymmetrische Mobilisierung des nationalkonservativen Lagers. Die konkrete Betroffenheit durch die Zuwanderung spielte dagegen nur eine marginale Rolle. Inhaltlich ist das MEI‐Ja ein Statement gegen «Überfremdung». Die Ja‐Stimmenanteile stimmen fast vollständig mit anderen Vorlagen zur Fremdenthematik überein. Die Haltung zu Bevölkerungsdichte und Landschaftsschutz standen dagegen im Hintergrund.
Die Haltung gegenüber Fremden hat die Zustimmung zur MEI entscheidend beeinflusst. Daraus abzuleiten, das knappe Ja zur Masseneinwanderungsinitiative sei Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit, greift jedoch zu kurz. Der Begriff der «Fremdenfeindlichkeit» geht von einer absoluten Ablehnung von Fremden aus. In der Praxis existiert kein Entweder‐oder von Fremdenfreundlichkeit und Fremdenfeindlichkeit, sondern es besteht ein gradueller Übergang. Eine gewisse Skepsis gegenüber Fremden ist jedem Menschen eigen, der Grad unterscheidet sich jedoch erheblich: Die Stimmbevölkerung ist deutlich skeptischer als die politischen Entscheidungsträger, Menschen mit einem Berufsschulabschluss sind im Mittel skeptischer als solche mit einem Hochschulabschluss. Skepsis ist nicht angeboren und Skepsis lässt sich abbauen. Je grösser die Kenntnis von Zusammenhängen, je eher eine globaler Weltsicht eingenommen wird und je stärker der Glaube an die eigene Handlungsmacht desto grösser ist die Offenheit gegenüber Fremden. Es liegt nur zu einem kleinen Teil in der Macht der politischen Behörden, Einfluss auf diese Faktoren zu nehmen. Dennoch ist es womöglich der einzige Weg die Stimmungslage gegenüber der Zuwanderung zu verbessern.
Die gesamte Studie können Sie hier hunterladen (PDF).